Digitaler Zwilling Österreich - Green Transition Information Factory (GTIF)

Blick aus dem All: Wie Satellitendaten Österreichs Klimawende unterstützen können.

Die grüne Transformation – also der Weg zu einer klimaneutralen Wirtschaft und Gesellschaft – gilt als eines der größten und ambitioniertesten Projekte unserer Zeit. Bis 2050 will die Europäische Union emissionsfrei sein. Der Weg dorthin ist jedoch voller Spannungsfelder: 

  • Der Ausbau erneuerbarer Energien stößt auf Fragen der Flächennutzung.
  • Städte müssen sich an immer häufigere Hitzewellen anpassen.
  • Und die Mobilität der Zukunft erfordert eine Infrastruktur, die erst entwickelt werden muss.

Verlässliche Informationen sind für diese Herausforderungen entscheidend. Doch gerade hier klafft oft eine Lücke: Zwar gibt es unzählige Daten, sie liegen jedoch selten in einer Form vor, die Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft direkt nutzen können.

Eine mögliche Lösung liegt im Blick aus dem All – genauer gesagt in der Erdbeobachtung. Satelliten erfassen mithilfe von Sensoren nahezu in Echtzeit Daten über die Erde. Dazu zählen Luftqualität, Vegetation, Wasserressourcen, Waldbrände, Wetterentwicklungen, das Wachstum von Städten oder der Zustand von Infrastrukturen. Diese Informationen sind neutral, umfassend und erlauben es, Veränderungen präzise nachzuzeichnen. Damit sie für konkrete Entscheidungen nutzbar sind, müssen die Rohdaten jedoch zuerst in Modelle, Szenarien und Werkzeuge übersetzt werden.

Die Europäische Raumfahrtagentur (ESA) hat diesen Bedarf erkannt. Im Rahmen des Programms „Space for a Green Future" (S4GF) wurde das Projekt "Green Transition Information Factory (GTIF)" gestartet. Ziel ist es, den Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft datenbasiert zu unterstützen und sichtbar zu machen. GTIF versteht sich als digitale Wissensfabrik: eine Cloud-Plattform, die Erdbeobachtungsdaten mit anderen Quellen kombiniert und daraus konkrete Anwendungen für die grüne Transformation entwickelt.

Die Plattform geht weit über klassische wissenschaftliche Analysen hinaus. Sie ist bewusst nutzerfreundlich gestaltet, sodass nicht nur Fachleute, sondern auch politische Entscheidungsträger, Industriepartner, Kommunen und perspektivisch Bürgerinnen und Bürger damit arbeiten können. GTIF soll zur zentralen Schnittstelle werden, die komplexe Daten in verständliche und praktische Lösungen übersetzt und so den Wandel hin zu einer klimaneutralen Zukunft aktiv unterstützt.

Österreich spielt bei dieser Entwicklung eine Vorreiterrolle. Seit 2022 entsteht hier ein Demonstrator, an dem das Bundesministerium für Innovation, Mobilität und Infrastruktur (BMIMI), die FFG, Forschungsinstitutionen und Unternehmen gemeinsam arbeiten. Die derzeitige Beta-Version bündelt zentrale Themen, die für die Klimaziele entscheidend sind: 

  • die Energie- und Mobilitätswende,
  • nachhaltige Städte,
  • Kohlenstoffbilanzierung sowie 
  • Renaturierung.

Dahinter steht die Vision eines „Digitalen Zwillings" des Landes – eines virtuellen Abbilds, das Veränderungen sichtbar macht und Szenarien simulieren kann.

Wie das funktioniert, zeigt der Energiebereich. Nutzerinnen und Nutzer können auf der Plattform prüfen, welche Regionen sich für Wind- oder Solaranlagen besonders eignen. So lassen sich Chancen und Konflikte bereits in einer frühen Planungsphase erkennen.

Ein weiteres Beispiel betrifft Städte: Urbane Hitzeinseln, die im Sommer zu einer massiven Belastung für die Bevölkerung werden können, werden mithilfe hochaufgelöster Temperaturprognosen dargestellt. Kommunen erhalten damit eine fundierte Grundlage, um Hitzeschutzpläne zu entwickeln oder die Stadtplanung anzupassen.

Die Anwendungsfelder sind vielfältig. In der Raumplanung kann GTIF Veränderungen im Gebäudebestand sichtbar machen. Für den Tourismus wurden Szenarien zur Klimaanpassung entwickelt. Auch die Wasserkraft, eine tragende Säule der österreichischen Energieversorgung, soll mithilfe der Plattform effizienter und nachhaltiger genutzt werden.

Wichtig ist, dass diese Werkzeuge nicht im luftleeren Raum entstehen. Sie werden in enger Abstimmung mit den künftigen Nutzerinnen und Nutzern entwickelt, sodass ihre Anforderungen direkt in die Plattform einfließen.

In Zukunft soll die Plattform aber weit über den ökologischen Wandel hinausgehen. GTIF kann auch in Bereichen wie Katastrophenschutz, Landwirtschaft, Tourismus oder Sicherheit eingesetzt werden – etwa um Lieferketten resilienter zu gestalten, Risiken in der Versicherungswirtschaft besser abzuschätzen oder touristische Regionen datenbasiert zu entwickeln.

Langfristig soll aus dieser "Informationsfabrik" ein Werkzeug werden, das politische Entscheidungen fundierter macht und gesellschaftliche Diskussionen auf eine objektive Basis stellt. Denn die grüne Transformation kann nur gelingen, wenn sie nachvollziehbar ist – sowohl für jene, die sie gestalten, als auch für jene, die von ihr betroffen sind.

Der Blick aus dem All liefert dafür die Daten. Mit GTIF entsteht nun die Möglichkeit, daraus Einsichten und Handlungsoptionen zu formen, die Österreichs Weg zur Klimaneutralität realistischer und greifbarer machen.