Wie Satellitendaten Österreichs Städte klima- und zukunftsfit machen sollen

Das Projekt GTIF-AT Sustainable Cities (SC) entwickelt digitale Werkzeuge, um urbane Hitzebelastung, Energiebedarf und Stadtentwicklung besser zu steuern.

Die Gefahr ist unsichtbar, aber messbar: Österreichs Städte heizen sich auf. Asphalt, Beton und dichte Bebauung speichern tagsüber Hitze und geben sie nachts nur langsam wieder ab. In dicht besiedelten Gebieten kann die Temperatur um bis zu sieben Grad über jener des Umlands liegen.

Besonders in heißen Sommern zeigt sich das Problem: Straßen flimmern, Grünflächen vertrocknen, Stromnetze ächzen unter der Last von Klimaanlagen. Und mit jeder neuen Hitzewelle wächst der Druck auf Stadtverwaltungen, Antworten zu finden.

  • Wie lassen sich Stadtviertel abkühlen?
  • Wo wirken Grünflächen am besten?
  • Und wie kann man neue Bauprojekte klimafreundlich planen, bevor die Probleme entstehen?

Klimadaten aus dem All

Antworten auf diese Fragen kommen künftig auch aus dem Weltall. Satelliten können einen Beitrag dazu liefern, Daten wie Temperatur, Vegetation, Bodenfeuchte, Versiegelung, Luftqualität oder den Energieverbrauch von Städten zu erfassen. Die Datenmenge, die dabei zusammenkommt, ist enorm: Rund 20 Terabyte an Erdbeobachtungsdaten produziert das europäische Copernicus-Programm täglich, die aus Sentinel-Satelliten gespeist werden.

Die Herausforderung dabei ist, dass diese Daten meist in Rohform verfügbar sind. Für Gemeinden ist es kaum möglich, sie ohne technische Infrastruktur oder Spezialwissen zu nutzen.

Wir haben in Europa einen gewaltigen Datenschatz, der bisher vor allem von Forschung und Großunternehmen gehoben wird. Für Städte ist der Zugang teilweise noch zu komplex.

Julia Sauskojus, Projektleiterin bei UIV Urban Innovation Vienna.

Genau das will das Forschungsprojekt GTIF-AT SC ändern. Es ist Teil des Digitalen Zwillings Österreich, einer Initiative des Bundesministeriums für Innovation, Mobilität und Infrastruktur (BMIMI) und der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG), mit Unterstützung der ESA. Koordiniert wird es von UIV Urban Innovation Vienna. Beteiligt sind GeoSphere Austria, AIT Austrian Institute of Technology, EOX IT Services, OHB Digital Connect und ubicube. Das gemeinsame Ziel ist es, Satellitendaten in alltagstaugliche Anwendungen für Städte, Gemeinden und auch die Wirtschaft zu übersetzen.

Digitale Werkzeuge für Klimaschutz und Planung

Konkret soll bei dem Projekt ein digitaler Werkzeugkasten entstehen, der Erdbeobachtungsdaten mit Wettermodellen, KI und sozioökonomischen Informationen verbindet. Zielgruppe sind vor allem Gemeinden ab 15.000 Einwohner:innen, die nach Unterstützung bei der Klimawandelanpassung, Energieraumplanung oder Stadtentwicklung suchen.

Vier Anwendungen werden derzeit entwickelt:

Eine Solarpotenzialprognose berechnet, wo sich die Installation von Photovoltaikanlagen am meisten lohnet und wie sich die Energiegewinnung über den Tag entwickelt. Die Nachfrage nach PV-Anlagen ist derzeit hoch und wird laut Österreichischem Netzinfrastrukturplan weiter steigen: Bis 2030 soll Solarstrom 21 Terawattstunden liefern, bis 2040 sogar doppelt so viel.

Die Herausforderung liegt in der Wetterabhängigkeit und Netzstabilität. Beispielsweise können Wolken die Leistung einer Anlage innerhalb von Minuten um bis zu 50 Prozent verringern. In Regionen mit hohem PV-Anteil drohen dadurch kurzfristige Spannungsschwankungen und Überlastungen.

Das Beispiel unten zeigt anschaulich, wie sich Daten aus dem All direkt in Energieraumplanung übersetzen lassen. Auf Karten wie jenen von Niederösterreich und Wien wird sichtbar, wo gerade wie viel Sonne auf die Erdoberfläche trifft und welches Strompotenzial daraus entsteht.

Ein Wert von 1 bedeutet die volle Nennleistung der PV-Anlage, niedrigere Werte zeigen, wie Bewölkung oder Hitze den Ertrag mindern. Solche Prognosen bis zu 30 Stunden im Voraus helfen Energieversorgern und Gemeinden, Netze zu stabilisieren und Speicher gezielt einzusetzen und ermöglichen es Haushalten, etwa das Laden von Elektroautos in sonnenreiche Stunden zu verlegen.

Eine hochauflösende Temperaturprognose, die stündlich aktualisiert wird zeigt, wo Hitze zur Gefahr für Gesundheit und Infrastruktur werden kann.

Eine Analyse des lokalen Hitzerisikos zeigt, welche Stadtteile – unter Berücksichtigung der Bevölkerungsstruktur – besonders gefährdet sind und wie sich diese Risiken unter verschiedenen Klimaszenarien entwickeln könnten.

Eine Beispielkarte für Wien veranschaulicht, wie sich Hitzebelastung und Vulnerabilität überlagern: Während derzeit vor allem dicht bebaute Bezirke wie Favoriten, Rudolfsheim-Fünfhaus und Teile der Innenstadt stark betroffen sind, dehnen sich die Risikogebiete in Zukunftsszenarien 2050 und 2090 deutlich aus – bis nach Simmering und Ottakring.

Die Karten kombinieren Satellitendaten zur Oberflächentemperatur mit Bevölkerungs- und Stadtstrukturdaten und machen sichtbar, wo Hitze am stärksten auf vulnerable Gruppen wirkt. Städte können damit gezielt Maßnahmen planen – etwa Begrünung, Beschattung oder die Einrichtung von Cooling Centers, also kühlen Rückzugsorten während Hitzewellen. Besonders für ältere Menschen ist entscheidend, dass diese Orte auf kurzen Wegen erreichbar sind.

Schließlich ermöglicht eine laufende Erfassung des Gebäudebestands, die Veränderungen im Stadtbild – etwa Neubauten oder Sanierungen – automatisch zu erkennen und in die Stadt- und Energieplanung einzubinden.

Nutzen auch für die Wirtschaft

Gemeinden könnten mit den neu zur Verfügung stehenden Daten frühzeitig erkennen, wo sie Bäume pflanzen oder Dächer begrünen sollten. Energieversorger erhalten eine präzisere Einschätzung, wann Spitzenbelastungen drohen. Für Immobilienfonds etwa lassen sich Hitze- und Versiegelungsdaten in Standortbewertungen einbeziehen. Für Mobilitätsanbietern könnten Temperaturprognosen dabei helfen, Fahrzeugflotten oder die die räumliche Verteilung von
E-Ladestellen effizienter zu steuern.

Vom Datensatz zur Entscheidung

Unser Ziel ist, Städte dabei zu unterstützen, klimafitter zu werden. Erdbeobachtungsdaten liefern uns eine objektive, kontinuierliche Grundlage, auf Basis derer wir Klimaresilienz messbar und gestaltbar machen können.

Julia Sauskojus, Projektleiterin bei UIV Urban Innovation Vienna

Bis Ende 2026 sollen die beschriebenen Anwendungen als Werkzeuge einsatzbereit sein. Dann könnten Städte nicht nur auf Hitzewellen reagieren, sondern sie vorausschauend bewältigen, unterstützt durch Daten, die aus dem All kommen, und so auf der Erde konkrete Wirkung entfalten.

Über den Digitalen Zwilling Österreich

Der Digitale Zwilling Österreich ist eine gemeinsame Initiative des Bundesministeriums für Innovation, Mobilität und Infrastruktur (BMIMI) und der Forschungsförderungsgesellschaft FFG, in Kooperation mit der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA), Europäische Organisation für die Nutzung meteorologischer Satelliten (EUMETSAT) und dem Europäischen Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage (ECMWF).

Ziel ist es, Satelliten- und Erdbeobachtungsdaten mit österreichischer Forschung zu verknüpfen und für Politik, Wirtschaft und Verwaltung nutzbar zu machen. Das Projekt ist Teil der europäischen Programme Green Transition Information Factory (GTIF) und Destination Earth (DestinE), die digitalen Abbilder unseres Planeten entwickeln, um Umwelt- und Klimaveränderungen nahezu in Echtzeit sichtbar zu machen und datenbasierte Entscheidungen zu unterstützen.

Mehr als 30 österreichische Unternehmen und Forschungseinrichtungen arbeiten derzeit an über 50 Anwendungen, die unter anderem es ermöglichen, urbane Hitzeinseln zu erkennen, Infrastruktur zu überwachen und optimale Standorte für erneuerbare Energien zu bestimmen.