Neue NASA-Mission mit Grazer Beteiligung
Die NASA hat vor wenigen Tagen zwei neue wissenschaftliche Missionen ausgewählt: MUlti-slit Solar Explorer (MUSE) und HelioSwarm. Beide Missionen werden dazu beitragen, die Dynamik der Sonne und die Wechselwirkung zwischen Sonnenwind und Erde besser zu verstehen, und wichtige Informationen über physikalische Phänomene im Sonnensystem liefern. Das Grazer Institut für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist an HelioSwarm beteiligt.
Turbulenter Sonnenwind
Die äußerste atmosphärische Schicht der Sonne, die Heliosphäre, reicht wie eine Blase weit in unser Sonnensystem hinein. In ihr breitet sich der Sonnenwind aus, ein konstanter Strom geladener Teilchen, der komplexe Phänomene in der Erdumgebung erzeugt. Diese werden unter dem Begriff „Weltraumwetter" zusammengefasst und beeinflussen nicht nur die Funktionstüchtigkeit von Satelliten und Kommunikationssignalen im Weltraum , sondern gefährden auch Astronauten.
„HelioSwarm wird die physikalischen Prozesse aufdecken, die für das Aufheizen der geladenen Teilchen im interplanetaren Raum verantwortlich sind", erklärt IWF-Forscher Owen Roberts, der am Missionskonzept für HelioSwarm mitgearbeitet hat und Teil des Wissenschaftsteams ist. „Wenn wir die Temperatur des Sonnenwindes messen, zeigt dieser ein merkwürdiges Verhalten: Er ist viel heißer, als wir es aufgrund bisher bekannter physikalischer Prozesse für ein expandierendes Gas erwarten würden," setzt Roberts fort.
Der Sonnenwind besteht aus turbulenten magnetischen Wellen, Wirbeln und anderen Strukturen, die das Plasma aufheizen. Es ist eine Herausforderung, diese komplexen Phänomene mit nur einer einzigen Raumsonde zu untersuchen. HelioSwarm ist darauf ausgelegt, Magnetfeldschwankungen und ihre Auswirkungen auf die Plasmaerwärmung und -beschleunigung zu erforschen. „Am IWF entwickeln wir eine Wellenanalysemethode, die die Daten von allen neun Satelliten kombiniert. Mit dieser Methode lässt sich feststellen, welche Arten von Wellen es gibt, in welche Richtungen sie sich bewegen und vor allem, wie sie Teilchen aufheizen und beschleunigen.
HelioSwarm im Detail
Bei HelioSwarm handelt es sich um eine Konstellation oder einen „Schwarm" von neun Raumsonden, die Mehrpunktmessungen im Weltraum durchführen werden. Geleitet wird die Mission von der University of New Hampshire (UNH). Im Mittelpunkt steht die Untersuchung der Fluktuationen im Magnetfeld der Erde und Bewegungen des Sonnenwindes, die als Sonnenwindturbulenz bekannt sind. Um diese Turbulenz zu untersuchen, sind gleichzeitige Messungen aus verschiedenen Punkten im Weltraum erforderlich.
HelioSwarm besteht aus einem Hauptsatelliten, der als Drehkreuz dient und den Funkkontakt zu weiteren acht Kleinsatelliten hält (siehe Abbildung). Die Umlaufbahn der neun Satelliten ist so konzipiert, dass diese ihre Ausrichtung und die Abstände zueinander ändern können. „Diese technische Innovation bietet die einzigartige Möglichkeit, die Turbulenz und ihre Entwicklung im Sonnenwind zu untersuchen", sagt Roberts.
HelioSwarm wurde gemeinsam mit MUSE aus fünf Projektvorschlägen als nächste Medium-Class Explorer (MIDEX) Missionen der NASA ausgewählt.
Vom Einzelsatellit zum Raumsonden-Schwarm
Die Sonnenwindturbulenz trägt dazu bei, dass die lokale Sonnenumgebung im erdnahen Raum heiß bleibt, man kennt jedoch nicht den Grund dafür. Mit HelioSwarm hofft man diesem Geheimnis auf die Spur zu kommen und herauszufinden, warum der Sonnenwind nicht abkühlt. Viele Weltraumwissenschaftler*innen haben auf diese Mission schon lange gewartet, so auch Rumi Nakamura, Leiterin der Forschungsgruppe Weltraumplasmaphysik am IWF: „Es ist unglaublich, wie sich die Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat." Die Anfänge von HelioSwarm reichen bis in die frühen 1980er Jahre zurück. Allerdings ist eine solche Mission erst seit kurzem technisch machbar. „Innerhalb weniger Jahrzehnte haben wir uns von einzelnen Satelliten zu Tetraeder-Konstellationen wie Cluster und MMS entwickelt und nun schicken wir ganze Raumsonden-Schwärme aus, mit denen wir revolutionäre Entdeckungen machen werden", ist Nakamura überzeugt.
Laut IWF-Direktorin Christiane Helling leisten Missionen wie HelioSwarm „fundamentale Beiträge zum Verständnis des Turbulenz-Phänomens, für das es noch immer keine allgemein gültige Beschreibung gibt".
Mit HelioSwarm soll eine neue Ära der Weltraumplasmaphysik beginnen. Mehrere Vorschläge für zukünftige Schwarm-Missionen sind in Vorbereitung, um bei Weltraumagenturen in Europa, den USA und Asien eingereicht zu werden.
Kontakt
Doz. Rumi Nakamura
T +43 316 4120-573
M +43 664 4032672
rumi.nakamura@oeaw.ac.at
Dr. Owen Wyn Roberts
T +43 316 4120-636
owen.roberts@oeaw.ac.at