#Successstory - Wie die Ensinger-Sintimid GmbH der Deep Space Exploration hilft

Spezielle Hochleistungskunststoffe sorgen dafür, dass Planeten-Orbiter auch bei extremen Temperaturunterschieden einwandfrei funktionieren.

Vielleicht ist es Ihnen beim Kochen oder Backen schon einmal passiert: Sie waren nur einen Moment unaufmerksam und haben die Rührschüssel an der falschen Stelle abgestellt. Sie hat sich verzogen, in der Küche stinkt es gewaltig und die Herdplatte ist voll mit Plastik. Näher an der Sonne ist es noch viel heißer. Ikarus, der Sohn des griechischen Erfinders Dädalus, machte diese Erfahrung, als er sich der Sonne näherte. Sein Flugversuch endete in einer Katastrophe und er stürzte ins Meer. Ikarus hatte das falsche Material gewählt. Auch Raumfahrtteile müssen hitzebeständig und leicht sein.

Schutz vor Temperaturschwankungen

Wie können Orbiter und ihre technische Ausrüstung vor hohen Temperaturen geschützt werden? Sind Kunststoffe dafür ein geeignetes Material? Die Lösung für dieses Problem kommt aus Oberösterreich und heißt TECASINT. Das ist der eingetragene Handelsname für eine Gruppe von nicht schmelzenden Hochtemperatur-Polyimiden. Produziert wird dieser Werkstoff von der Ensinger-Sintimid GmbH in Seewalchen am Attersee (Oberösterreich), einem Tochterunternehmen der Ensinger GmbH in Nufringen, Deutschland. Sie wurde 1966 in der Nähe von Stuttgart gegründet und verfügt heute über 33 Standorte weltweit.

Künstlerische Darstellung der Trennung der Oberstufe und des Nutzlast-Startadapters von BepiColombo etwa 30 Minuten nach dem Start
Künstlerische Darstellung der Trennung der Oberstufe und des Nutzlast-Startadapters von BepiColombo etwa 30 Minuten nach dem Start (ESA/ATG medialab )

TECASINT auf dem Weg zum Merkur

Um mehr Informationen über den kleinsten tellurischen Planeten in unserem Sonnensystem, den Merkur, zu gewinnen, wurden in einer gemeinsamen Mission der ESA und der japanischen Raumfahrtagentur JAXA zwei Planetenorbiter dorthin geschickt. Die Mission startete am 20. Oktober 2018 vom Guayana Space Centre Kourou. Beide BepiColombo Raumsonden, der Mercury Planetary Orbiter und der Mercury Magnetospheric Orbiter, werden voraussichtlich im Jahr 2024 am Merkur eintreffen. Da Merkur der sonnennächste Planet in unserem Sonnensystem ist, werden die Orbiter Temperaturen von bis zu 350 Grad Celsius aushalten müssen. Die Orbiter werden mindestens ein Jahr lang Daten sammeln.
Die Mission wird nur dann erfolgreich sein, wenn das Thermal Control System (TCS) der Orbiter korrekt funktioniert. Das TCS sorgt dafür, dass die Komponenten in den Orbitern, z. B. optische Sensoren oder Atomuhren, bei den richtigen Temperaturen arbeiten können, da sie sehr anfällig für Temperaturschwankungen über und unter der optimalen Arbeitstemperatur sind. Es ist auch möglich, dass die Solarpaneele nicht richtig ausfahren, wenn sie zu heiß werden. Allerdings schwanken die Temperaturen auf dieser Mission massiv, je nachdem, ob die Orbiter durch den tiefen Weltraum fliegen oder sich anderen Planeten nähern und dabei ständig den Auswirkungen des Sonnenflusses ausgesetzt sind.

Ein stabiles Hitzeschild

Eine der Komponenten im TCS ist der thermische Abstandshalter, eine Scheibe, die als Barriere gegen hohe Temperaturen und Strömungen fungiert. Die Scheibe ist aus TECASINT gefertigt. Dieser thermische Abstandshalter muss hohen Belastungen standhalten und darf bei hohen Temperaturen nicht kriechen, er darf sich in keiner Weise verformen. Außerdem ist es wichtig, dass die Bauteile verschleißfest sind. Die Funktionstüchtigkeit dieser Teile wird für einen Zeitraum von sechs oder sieben Jahren garantiert.
Für den thermischen Abstandshalter wurde TECASINT 1011 gewählt, da das Material nicht schmilzt und auch bei Temperaturen von annähernd 350°C nicht erweicht. Das Material weist eine sehr geringe Kriechneigung unter Last auf, was für diese Anwendung wichtig ist, da es über mehrere Jahre eine hohe Schraubenkraft halten soll. 

BepiColombo: Betrieb in extremen Umgebungen
BepiColombo: Betrieb in extremen Umgebungen (ESA)

Eigenschaften von TECASINT

Was macht TECASINT so besonders? Um die Anforderungen und Standards der ESA zu erfüllen, muss der Kunststoff ein geringes Ausgasungsverhalten aufweisen. "Im tiefen Weltraum herrschen Vakuumbedingungen, jede Ausgasung oder Emission könnte entscheidende Anwendungen beeinträchtigen, d. h. empfindliche optische Komponenten wie z. B. Linsen und Objektive könnten wie eine Kameralinse beschlagen und wären damit nicht leistungsfähig", sagt Axel Reinheimer, Technical Support and Sales Manager bei Ensinger.
Das Material muss fest und elastisch zugleich sein. TECASINT ist ein mäßig elastischer Kunststoff, was es im Vergleich zu Metallen auch ist. Außerdem weist TECASINT ein gutes elektrisches Isolationsverhalten auf, das schwere Schäden an elektronischen Geräten verhindert. Und nicht zuletzt zeichnet sich das Material durch eine hohe thermische Isolation aus.

Neue hochleistungsfähige Polyimide

"Brimatech als ESA Technology Broker für Österreich unterstützt österreichische Organisationen bei der Teilnahme an zukünftigen Missionen. Die Entwicklung von Hochleistungs-Polyimiden ist seit dem Start der Merkur-Mission nicht mehr aufzuhalten", sagt Susanne Katzler-Fuchs, Geschäftsführerin von Brimatech.
Die neuen Materialien, wie z.B. TECASINT 4111, haben noch geringere Ausgasungseigenschaften, eignen sich besser für Vakuum- und Tieftemperaturanwendungen und arbeiten bei noch höheren Temperaturen - sprich: bis zu 470 Grad Celsius. Warum diese neuartigen Materialien nicht für die Mission zum Merkur spezifiziert wurden? "Zu Beginn der Entwicklung für die Bepi-Colombo-Mission in den Jahren 2009/2010 waren diese Materialien nicht kommerziell verfügbar. Während der Testphase einer Satellitenmission werden Materialien, die zu Beginn empfohlen und ausgewählt wurden, nicht verändert, solange sie eine entsprechende Leistung erbringen", erklärt Reinheimer. Diese neuartigen Materialien sollen nun für weitere Missionen im All dafür sorgen, dass ein alter Menschheitstraum in Erfüllung geht: zur Sonne zu fliegen, ohne abzustürzen. 

Für weitere Informationen über ESA Space Solutions und damit verbundene Geschäftsanwendungen, Unternehmensinkubation und Technologietransfer besuchen Sie bitte ESA Space Solutions.

Der Technologiebroker der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) für Österreich wird von Brimatech bereitgestellt und ist Teil des ESA Space Solutions Centre Austria, das in Zusammenarbeit mit ESA Space Solutions verwaltet und finanziert wird: