Christiane Helling leitet ÖAW-Weltraumforschung

Das Institut für Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) bekommt eine neue Leitung. Die Astrophysikerin Christiane Helling folgt dem langjährigen Direktor Wolfgang Baumjohann nach, der in den Ruhestand geht. Helling konnte sich in einem öffentlichen Hearing gegenüber ihren drei Mitbewerbern durchsetzen.
Astrophysikerin Christiane Helling
Astrophysikerin Christiane Helling (www.chrisscottphotography.co.uk)

"Die Frage nach dem Platz der Menschheit in den Weiten des Universums ist so alt wie die Menschheit selbst. Das Institut für Weltraumforschung der ÖAW nimmt durch seine Forschung an Planeten innerhalb und außerhalb des Sonnensystems und deren Wechselwirkungen mit den Muttergestirnen wegweisend an der Beantwortung dieser Frage teil - und zwar im Tandem mit gezielten Technologieentwicklungen. Mit zunehmend fachübergreifenden Ansätzen wird das Institut so auch zu wichtigen Kernthemen des ESA-Wissenschaftsprogramms VOYAGE 2050 maßgeblich beitragen", sagt Christiane Helling zu ihrem Wechsel nach Graz und zur Zukunft des Instituts. VOYAGE 2050 ist ein langfristiges wissenschaftliches Planungsprogramm der Europäischen Weltraumorganisation (ESA), etwa für zukünftige Weltraummissionen.

"Das Institut für Weltraumforschung der Akademie bringt Österreich seit 50 Jahren durch seine Beteiligung an internationalen Missionen ins All. Es hat seinen Standort Graz damit zur Weltraumhauptstadt des Landes gemacht. Das ist auch ein wesentlicher Verdienst seines langjährigen Direktors Wolfgang Baumjohann. Christiane Helling hat durch ihre Kompetenz im Bereich der Exoplanetenforschung, ihre weitreichenden internationalen Erfahrungen sowie ihren fächerübergreifenden Forschungsansatz überzeugt. Ich bin mir sicher, dass sie als neue Direktorin die Spitzenposition des Instituts in der Weltraumforschung in Österreich und darüber hinaus weiter ausbauen wird", sagt Anton Zeilinger, Präsident der ÖAW.

Exoplaneten und Braune Zwerge

Helling ist seit 2016 Direktorin des St Andrews Centre for Exoplanet Science und Dozentin für Astronomie und Physik an der University of St Andrews in Schottland. Seit 2019 ist sie zudem Senior Scientist am niederländischen Institute for Space Research. In ihrer Forschung fokussiert sie sich auf die chemische Vielfalt von Exoplaneten und sogenannten Braunen Zwergen, also Himmelskörpern, die eine Sonderstellung zwischen Sternen und Planeten einnehmen. Dazu gehört die Untersuchung von Wolkenbildung, deren Einfluss auf das Klima von Exoplaneten sowie dessen Modellierung durch komplexe Computersimulationen.
Um das Klima auf anderen Planeten innerhalb und außerhalb unseres Sonnensystems ging es auch in ihrem Starting Grant, mit dem sie 2011 vom European Research Council (ERC) ausgezeichnet wurde. Darin widmete sich Helling den Ionisierungsprozessen in ultrakalten Atmosphären, einschließlich 3D-Wolkenbildung und Entladungsprozessen, den Auswirkungen von Blitzen als möglicher Quelle pre-biotischer Moleküle sowie dem Ursprung von Radio- und Röntgenemissionen aus solchen kühlen Atmosphären. Unter ihrer Federführung gelang im Rahmen des ERC-Grants die erste dreidimensionale Wettersimulation eines Exoplaneten.

Über die Fachgrenzen hinaus

Christiane Helling blickt nicht nur auf ferne Welten, sondern auch über die Grenzen des eigenen Faches hinaus. Wie fruchtbar die Disziplinen übergreifende Zusammenarbeit ist, führt das von ihr geleitete St Andrews Centre for Exoplanet Science vor. Dort kommen Forscher/innen aus den Bereichen Physik und Astronomie, Geographie, Philosophie, Sprachwissenschaften und Internationale Beziehungen zusammen, um die extrasolaren Planeten im Kontext der Natur- und Geisteswissenschaften zu untersuchen.

Interdisziplinär ist auch das von der Europäischen Union im Rahmen des Marie-Sklodowska-Curie-Stipendiums geförderte Ausbildungsnetzwerk "CHAMELEON" angelegt, das Helling seit 2019 koordiniert und in dem sechs europäische Universitäten kooperieren. Mithilfe neuer Erkenntnisse aus der Astrophysik, der numerischen Chemie, der experimentellen und theoretischen Physik, der Mathematik und den Computerwissenschaften wird in diesem Netzwerk an virtuellen Laboratorien zur Untersuchung der für uns unerreichbaren Exoplaneten gearbeitet.

IWF an 23 Weltraummissionen beteiligt

Hellings wissenschaftliche Laufbahn startete 1999 nach ihrer Dissertation, für die sie den Tiburtius-Preis der Berliner Hochschulen erhielt, am Zentrum für Astronomie und Astrophysik der Technischen Universität (TU) Berlin. Vier Jahre später habilitierte sie sich an der TU Berlin. Danach folgte eine Station als PostDoc an der niederländischen Universität Leiden, von 2005 bis 2006 war sie Forschungsstipendiatin der European Space Agency (ESA) und im Anschluss Advanced Research Fellow der Scottish University Physics Alliance an der University of St Andrews. Der Mitbegründerin des Arbeitskreises AstroFrauenNetzwerk in der Astronomischen Gesellschaft in Deutschland ist auch Österreich nicht unbekannt: Eine Gastprofessur führte Helling 2011 an das Institut für Astrophysik der Universität Wien.

Christiane Helling folgt am 1. Oktober 2021 ÖAW-Mitglied Wolfgang Baumjohann nach, der seit 2001 das Institut maßgeblich geprägt hat. Das IWF ist das einzige Institut im Land, das weltraumtaugliche Messgeräte im großen Rahmen entwickelt und baut. Derzeit ist es an insgesamt 23 internationalen Weltraummissionen beteiligt, die von der ESA, der NASA oder nationalen Weltraumagenturen in Japan, Russland, China und Korea geleitet werden. Es ist mit rund 100 Mitarbeiter/innen eines der größten Institute der ÖAW.